Nur in deinem kopf
Nur in deinem kopf
State of the Union: Wissenstransfer
Samstag, 21. April 2012
In den aktuellen Brainbooks empfehle ich unter anderem E.O. Wilson´s Life on Earth – kein Buch im klassischen Sinn, nicht einmal im eBookischen: getuned mit rich media – mit Video, Animiertem und Interaktivem – erinnert es mehr an die alten CD-ROM-Magazine. Aber eben inklusive allem, was man heute besser machen kann.
Dieses Buch sorgt für Aufruhr, nicht nur bei mir. Ich habe mich in der letzten Zeit mit Künstlern, Vertrieblern, Redakteuren und Lehrenden darüber unterhalten und der Anteil der Menschen, die Feuer fangen, ist seeehr hoch.
Disclaimer
Ja, ich bin Apple-Aficionado. Seit 1989.
Ja: mir wird Apple langsam unheimlich. In der Keynote zum iPad3 (sorry, zum neuen iPad) erschien mir Tim Cook wie ein Clone von Steve Jobs. Und diese Videos der Apple-geilen Apple-Store-Massen passen nicht mehr ganz in die (meine) konsumkritische Zeit.
Trotzdem ...
Apple
Es ist das Gebet der Nuller Jahre: die Technologien von Apple verändern die Welt. Wir hören anders Musik seit dem iPod (wirklich?), wir telefonieren anders seit dem iPhone (garantiert!), wir erleben Technik anders seit dem iPad.
Das stimmt für viele gar nicht und auch in den Industrieländern für den einen weniger, für den anderen mehr. Ich gehöre zur Kategorie der letzteren, denn Apple ermöglicht mir seit Jahren die Umsetzung meiner Ideen. Ich will gar nicht von Podcasts anfangen, auch nicht zurück zum DTP gehen, was mit Apple ja zumindest anfing.
Die Marketinglegenden heute sind andere, und nicht ohne Widerspruch. Zwei dieser Widersprüche will ich nennen: wer mit dem Vertrieb von Medien zu tun hat, hat es aktuell wahnsinnig schwer. Amazon macht zwar die Tür auf, verdient aber kräftig mit. Apple reagiert nicht mal aufs Klingeln. Das ist der Grund, warum es keine Amazon-App gibt. Dieses mehrfache Closed-Shop-Prinzip ist für Piraten untragbar, für die Konkurrenz tödlich, spielt aber in diesem Post keine Rolle. Wir sprechen über die nächste Wertschöpfungskette, die Apple dominieren wird.
Der zweite Widerspruch ist eigentlich keiner gegen Apple. Und auch er ist bekannt: seit Jahrzehnten gilt der Mac-Hersteller als Marketingfirma mit angeschlossener Hardware-Produktion. Analog dazu vermute ich bei der Entwicklung der iBooks im Hintergrund einen Marketingcoup:
Problem: auf dem iPad mit seinem LED-Bildschirm sind eBooks kein Vergnügen
Lösung: wir polieren das alte Konzept der Bücher mit rich media, machen aus dem Minus ein Plus und bauen einen noch geileren Bildschirm
Brillant!
So funktioniert Apple, hier lässt sich lernen, wie aus Schwächen Stärken werden.
Hier ist das Medium ...
However: Apple hat das eBook umdefiniert. Wer Life on Earth schon gesehen hat, wird an eine App erinnert. Wobei es noch recht wenige deutsche iBooks gibt, aber eine Unzahl von Apps. Das nur am Rand.
Die Wertschöpfungskette sieht so aus: Sie haben ein Mac. Sie laden sich kostenlos iBook Author. Sie werfen an Text, Bild und Ton rein, was Sie haben und zusammenpasst. iBA hat zumindest Widgets für eine Art von weiterer Interaktivität. Sie kontrollieren direkt am iPad. Sie laden das ganze in den iTunes Store (wenn Sie Ihr Werk nicht verschenken wollen, brauchen Sie noch eine amerikanische Steuernummer. Und Sie dürfen, was Sie in iBA produzieren, nur bei Apple verticken). Und ... nein, kein Und mehr. Das war´s. Wenn Sie keinen Mac haben, kaufen Sie sich einen. Wenn Sie kein iPad haben, brauchen Sie auch das.
Was Sie als Autor nicht mehr brauchen, ist ein Verlag. Aber Sie brauchen Multimediales.
Für den Verlag ist das womöglich nicht sooo schlimm. Wie das Mayor-Label mit der CD des letzten Jahrhunderts geht er ins Lager und findet dort plötzlich einen riesigen Back Catalogue – alten Kram, den er jetzt aufhübschen und verticken kann. Er braucht halt eine Abteilung für rich media. Für den Anfang ist die Krise also eine Chance, und wie die Erfahrung bei den Podcasts zeigt, muss die radikale Öffnung des Marktes nicht das Ende der großen Player bedeuten.
Für einen Vertrieb bedeutet es: neue Standbeine werden gesucht. Strohhalme. Ideen für analoge Coolness.
Lehre
Apple hat sich den Bildungsmarkt als Startpunkt herausgesucht. Dass Wissenschaftler oft über Videos und gute Bilder verfügen, ist eventuell kein Zufall, aber vermutlich Nebeneffekt. Wichtig ist nicht der Lehrer, wichtig ist der Schüler. Und dessen Großmutter, denn das Enkelchen hat nun nach iTunes U einen weiteres Argument, mit dem er Oma ein iPad aus der Nase ziehen kann. Aber ich will nicht weiter das Apple-Marketing beklatschen.
Wer als Dozent bereits mit Keynote arbeitet, kann seine bestehenden Folien in den iBA werfen. Ich habe das noch nicht getestet, aber es scheint mir ziemlich spannend. Für Dozenten ergeben sich also ganz neue Möglichkeiten.
Die eigentliche Chance allerdings sehe ich bei den Schülern. Auch wenn ich meine Bücher liebe, sind sie doch passiv. iPads sind interaktiv. Sie sind hell, freundlich, sie verändern sich die ganze Zeit und sie erlauben jetzt auch animiertes Lernen. Das birgt den wahnsinnigen Vorteil der Motivation. Wie viele Menschen haben sich wohl in den letzten Monaten intensiver mit Ameisen auseinandergesetzt, nur weil sie es konnten? Ein Buch mit Audio, Video, interaktiven Grafiken und Abfragemodus?
Aber hallo!
So sexy war Lernen noch nie!
Was irgendwie schon verrückt ist: die Ausrede für die Oma – sie stimmt tatsächlich.
Und jetzt?
In Kürze wird es jede Menge Crap zum Download geben. Schnell produziertes, liebloses Zeug, oft auch in Zweitverwertung. Das ist egal, denn die Kunden stimmen mit den Füßen ab und doof sind sie nicht.
Es wird auch jede Menge neuer, geiler Formate geben, die Schülern und Studenten auf raffinierte Weise neues Wissen mit einer roten Schleife der Motivation versehen und womöglich – und wenn dann in Verbindung mit den weiteren Möglichkeiten des iPads – tatsächlich neue Arten der schulischen Informationsverarbeitung entstehen. Es ist eine gute Zeit, um zu lernen.
Hätte ich Zeit, ich würde sofort ein Buch machen ...
Apples jüngster Coup hat das Potential, den Markt der Sachbücher gehörig umzupflügen.